Die Türkische Regierung hat 2014 ihre Überwachungs- und Zensurbefugnisse im Internet ausgeweitet und neben dem Kurzmitteilungsdienst Twitter auch den Zugang zur Videoplattform YouTube mehrere Wochen lang blockiert. Ein neues Gesetz vom Februar erlaubt es der staatlichen Internetbehörde zudem künftig ohne Gerichtsbeschluss beliebige Webseiten zu sperren. Außerdem wurde eine Vorratsspeicherung bei der Internetbehörde eingeführt, die die Surfgewohnheiten von türkischen Internetnutzern künftig zwei Jahre lang speichern und bei Bedarf an die Sicherheitsbehörden weitergeben soll.
Die Türkei gehört unter den Nationen des Nahen Ostens zwar am ehesten zu der westlichen Kultur und ist bis heute bemüht, sich in die verschiedenen Gremien der westlichen Welt zu integrieren, doch beim Thema Internetzensur hat es vor allem unter Erdogan in den letzten Jahren deutliche Einschnitte gegeben.
Präsidiale Demokratie mit Einschränkungen der demokratischen Grundrechte?
Unter den arabischen und muslimischen Nationen nimmt die Türkei seit jeher den Rang als Partner des Westens ein. Ein Beitritt in die EU ist schon länger ein Thema und es soll immer wieder zu Verhandlungen über den Beitritt kommen. Durch seine Schlüsselrolle im arabischen Raum gilt die Türkei als wichtigster Player in der Diplomatie mit den Ländern dieses Teils der Welt. Ein Grund dafür findet sich auch in der Art der Staatsgründung. Von Atatürk gegründet, hat die Türkei einen säkularen Hintergrund und eine präsidiale Demokratie entwickelt. Allerdings zeigt die Geschichte der Türkei auch seit jeher ein gewisses Bestreben der Herrscher, die demokratischen Grundrechte der Menschen zumindest einzuschränken. Besonders unter der Herrschaft von Erdogan kam es in der modernen Zeit zu starken Einschränkungen in der Presse- und Meinungsfreiheit. Die ersten starken Zensuren des Internets wurden genau zu dem Zeitpunkt vorgenommen, als sich einige Teile der Bevölkerung gegen den Herrscher richteten.
Die türkische Internet-Infrastruktur
Das Internet gehört auch in der Türkei – mit einer sehr jungen Bevölkerung – zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln. Ähnlich wie in Deutschland, wird in der Türkei die grundlegende Infrastruktur für Telefonie und Internet ebenfalls durch ein ehemals staatliches Unternehmen verwaltet. Die Turk Telecom ist zwar inzwischen privatisiert, unterliegt aber noch immer der Kontrolle durch den Staat. Die Vergabe von Lizenzen für die Nutzung des Internets liegt daher auch in der Hand der staatlichen Kontrollen. Inzwischen gibt es zwar viele kleine Anbieter, die besonders in den ländlichen Regionen den Ausbau mit Breitband vorantreiben, allerdings gibt es auch hier nur Leitungen durch die Turk Telecom. Dadurch, dass der Zugang für das Backbone zentralisiert ist, sind auch Sperren von Webseiten sehr einfach für das gesamte Land zu etablieren.
Verbotene Webseites und „schädliche“ Wörter im türkischen Internet
Bereits seit 2007 ist die Freiheit im türkischen Internet in verschiedenen Bereichen eingeschränkt. Diese Einschränkungen haben besonders mit den grundlegenden gesellschaftlichen Gesetzen zu tun, die sich auch in anderen Bereichen finden. Einige Gründe, die für eine Sperrung von Webseiten ausreichen können:
- Beleidigungen gegen Atatürk, den Gründer der Türkei.
- Glücksspiel, Pornographie und illegale Inhalte wie Downloads sind Sperrgründe.
- Diffamierung von einzelnen Personen war schon immer ein Sperrgrund.
Auf dieser Basis gab es bereits seit einigen Jahren ein Gesetz, das es der Regierung erlaubt hat, verschiedene Webseiten durch die türkischen Internetprovider sperren zu lassen. 2011 wurde eine Liste mit 138 „schädlichen“ Wörtern wie „gay“, „free“, „adult“ und türkischen Übersetzungen von „nackt“, „heiß“ oder „Schwiegermutter“ veröffentlicht, die aus Gründen des „Verbraucherschutzes“ in Domainadressen verboten wurden. Nach Einführung dieser Sperrliste gingen prompt mehrere Webseiten von Kondomherstellern und Unterwäschefirmen vom Netz.
Allerdings wurden auch einige Webseiten gesperrt, die gar keine illegalen Inhalte, sondern nur Wörter oder Wortbestandteile im Domainnamen hatten, die als „schädlich“ eingestuft wurden. Ein prominentes Beispiel war die Webseite donanimalemi.com, deren Adresse auch das Wort „animal“ enthält, als ganzer Begriff aber eigentlich als hardwareworld.com zu übersetzen ist. Da auch die englische Abkürzung von „Pictures“ (Bilder/Fotos) „pic“, gesperrt wurde, weil das auf türkisch Bastard heißt, konnten plötzlich einige eher harmlose Bilderwebseiten oder Fotoanbieter nicht mehr aufgerufen werden. Verständlicherweise führte das schnell zu Protesten gegen die willkürlich erscheinende Zensur, und das Motto „Fasst unser Internet nicht an“ verbreitete sich.
Diese Netzsperren haben sich in den letzten Jahren noch verschärft und immer neue Gesetze führten dazu, dass die Regierung heute deutlich mehr Möglichkeiten hat, Seiten im Internet teilweise oder ganz zu sperren.
Neue Zensur-Gesetze nach Demonstrationen im Jahr 2013
Im Jahr 2013 hat die Zensur des Webs erstmals internationale Aufmerksamkeit erregt. Bei Protesten, die sich gegen Vorhaben des Ministers Erdogan richteten, kam es zu einer starken Kommunikation über das Internet. Vor allem die sozialen Netzwerke und Webseiten wie YouTube wurden von den Demonstranten genutzt, um sich zu informieren und Absprachen zu treffen. In Folge dessen ließ Erdogan die Webseiten sperren. Über Monate waren Dienste wie Youtube und Twitter aus der Türkei nicht mehr erreichbar. Selbst über viele sonst funktionierende Proxydienste war es nicht mehr möglich, die Seiten aufzurufen. Außerdem verschwanden verschiedene Blogs aus dem Internet, die sich mit Kritik an den Verhältnissen der Türkei beschäftigten. Nach dem Ende der Proteste hat man eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die nicht nur die Technik für die Überwachung und Sperrung verbesserte, sondern es noch einfacher machte, verschiedene Inhalte aus dem Internet auszusperren und nicht mehr erreichbar zu machen.
Weiterer Ausbau der Internetsperren in der Türkei
Mit dem Gesetz 5651 wurde die Grundlage für eine moderne Form der Zensur geschaffen. So ist es nun möglich, einzelne Inhalte wie Tweets oder Unterseiten einer Webseite zu sperren, was die Zensur schwer zu prüfen macht. Darüber hinaus sind die Provider dazu verpflichtet, die Daten für die Nutzung des Webs über zwei Jahre zu speichern und auf Anfrage zur Ermittlung von Identitäten zur Verfügung zu stellen. Außerdem ist es mit dem neuen Gesetz nicht mehr nötig, eine gerichtliche Erlaubnis für eine Sperrung zu bekommen. Es reicht, einen Inhalt als beleidigend anzugeben, damit dieser von den Internetprovidern gesperrt werden muss.
Die Türkei hat damit im europäischen Vergleich eine der striktesten Zensuren für das Internet. Durch die Bestrebungen von Erdogan dürfte es in den nächsten Jahren zu noch mehr Formen der Zensur kommen.